WELT DER REINEN FANTASIE

JAY HOWELLS WELT DER REINEN FANTASIE

Ein Gespräch mit dem Cartoonisten und Illustrator Jay Howell über seine Zusammenarbeit mit uns im Rahmen der „Stance x Willy Wonka“-Crew-Kollektion.

 

 

Viele von uns haben wahrscheinlich ähnliche Erfahrungen gemacht: Wir haben bei Freunden vor dem wuchtigen Röhrenfernseher gesessen und uns das Original von Willy Wonka und die Schokoladenfabrik aus dem Jahr 1971 angesehe. Der Film ist absolut fesselnd: die Farben, die Süßigkeiten, die fantasievolle Welt, die diese Gruppe glücklicher Gewinner des Goldenen Tickets erleben durfte. Gleichzeitig weckt er aber auch ein gewisses Unbehagen. Der Film ist auf eine ganz besondere Weise düster und psychedelisch, die schwer zu erklären und als Kind noch schwerer zu verarbeiten ist. Dieses Gefühl des Unbehagens und der Beklemmung ist genau der Grund, warum Willy Wonka und die Schokoladenfabrik Jay Howells Lieblingsfilm aller Zeiten ist.

Anfang Januar machten wir uns für einen Tag auf den Weg nach Portland, Oregon, um uns mit dem Cartoonisten und Illustrator Jay Howell zu treffen. Es war regnerisch und viel kälter als das Wetter in LA, das wir gewohnt sind, aber auch eine willkommene Abwechslung. Auf halber Strecke der von Bäumen gesäumten Auffahrt begegnete uns Jays struppiger Hund, der den passenden Namen „Street Dog“ trägt. Wir machten uns auf den Weg zu seinem Studio bei ihm zu Hause, wo wir sofort in das Interview eingestiegen sind:

 

 

WELCHE ART VON KUNST/DESIGN IST FÜR SIE IM MOMENT INTERESSANT?

Ich liebe Charakterdesign. Ich habe meine Karriere darauf aufgebaut. Im Moment interessiert mich vor allem, Designs für verschiedene Marken und Produkte zu entwerfen. Ich arbeite an einigen Surfbrett-Designs, Skateboard-, Rad- und Snowboard-Grafiken. Ich möchte eine Graphic Novel fertigstellen, an der ich schreibe, mehr Skateboards, mehr Snowboards, mehr Schuhe. Im Moment bin ich voll und ganz mit dem Tätowieren, mit Produkten und Marken beschäftigt.

 

WAS FINDEN SIE AN DER ARBEIT AN PRODUKTEN UND MARKEN ANDERER IM VERGLEICH ZUM ERSTELLEN EIGENER PRODUKTE INTERESSANT?

Ich denke, im Moment möchte ich einfach einen Schritt weitergehen und wirklich an etwas arbeiten, das man als „ikonisch“ bezeichnen kann. Manche Leute würden sagen, dass schon die Sachen für Bob's Burgers ikonisch waren, aber ich möchte mich einfach selbst herausfordern, am Ball zu bleiben und Dinge und Charaktere zu erschaffen, die ikonisch sind.

 

WIE DEFINIEREN SIE SICH UND IHRE KUNST?

Ich bin Cartoonist und Illustrator. Zu sagen, dass man ein Künstler ist, ist irgendwie langweilig. Das klingt auf gewisse Weise ein bisschen prätentiös. Dagegen ist es einfach abgefahren und witzig, sich als Karikaturisten zu bezeichnen.

 

WAS SIND IHRE LIEBLINGSCARTOONS?

Ich liebe Garfield, ich mag die Pink-Panther-Cartoons und Peanuts. Diese Cartoons aus den 60er und 70er Jahren im flachen Stil.

 

WIE HABEN EINIGE DIESER FRÜHEN ZEICHENTRICKFILME, DIE SIE GESEHEN HABEN, IHRE KARRIERE INSPIRIERT?

Den größten Einfluss auf mich hatten die Simpsons. Als Kind habe ich die Tracey Ullman Show gesehen, und zwischen den Sketchen wurden die Simpsons-Shorts gezeigt. Da dachte ich nur: „Das ist ja Wahnsinn! Wie ist das nur möglich?“ Ich war noch ein Kind und wusste nicht, wie ich es jemals anstellen sollte, aber ich wusste, dass ich genau so etwas machen wollte. Ich wusste ganz genau, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, und von diesem Zeitpunkt an widmete ich mich der Kunst. Eine Zeit lang habe ich mir eingeredet, ich sei ein bildender Künstler, aber das war idiotisch. Ich habe davon geträumt, dass meine Werke im MOMA ausgestellt werden oder etwas dergleichen. Dann hat mir ein Freund gesagt: „Warum machen wir nicht ein paar kleine Cartoons, um etwas Bewegung in das Ganze zu bringen?“, und in der Sekunde, in der ich es sah, war es mit der bildenden Kunst vorbei.

 

 

 

WIE SIND SIE ZUR ILLUSTRATION UND ZUM DESIGN GEKOMMEN?

Ich stamme aus den 80ern, und Skateboard-Grafiken ... Also, ich würde ein ganzes Magazin durchblättern, nur um bis zur Rückseite zu kommen und mir die Board-Grafiken anzusehen. Ich bin in die Skateshops gegangen, nur um mir die Boards anzusehen. Das war mein Museum als Kind. Und so ist es auch heute noch. Die 4 Wände eines Skateboardladens sind immer noch eine meiner Lieblingskunstinstallationen. Ich wollte einfach unbedingt Skateboard-Grafiken zeichnen. Bei allem in meinem Leben wusste ich anfangs nicht wirklich, wie ich es anstellen sollte, sondern musste es einfach langsam und stumpfsinnig herausfinden.

Bei dem, was ich zeichne, bin ich wirklich von Dingen aus der Vergangenheit beeinflusst. Ich mag die Ikonographie von Motorrad-Gangs, typisch amerikanisches Design und Volkskunst sehr. Ich mag es, wenn aus Dingen unbeabsichtigt wunderschöne Kunst entsteht. Surfen ist auch ein wichtiger Teil davon. Es ist für mich ein weiteres Stück typisch amerikanischer Ästhetik. Es sind Leute wie Miki Dora und Rick Griffin und all die anderen, die im Grunde genommen schlichtweg selbst Kunstwerke sind. Das gilt für Motorrad-Gangs, das Surfen, Grateful Dead und die psychedelischen Cartoons der 60er Jahre. Alles ist miteinander verwoben und insgesamt ein großes Gesamtkunstwerk.

Ich habe mein ganzes Leben lang in Kalifornien gelebt. Surfkultur, Skatekultur, Zine-Kultur, das ist alles, was ich kenne und was mich wirklich interessiert. Erst in letzter Zeit wollte ich wirklich weg von dort und aus meiner Komfortzone herauskommen. Ich wollte mich nicht mehr so bequem fühlen. Ich wollte in Bewegung bleiben und mich weiter an meine Grenzen bringen. Deshalb bin ich nach Oregon gezogen, aber Kalifornien wird immer meine Heimat sein.

 

HABEN SIE SICH SCHON IMMER KREATIV GEFÜHLT?

Ich weiß nicht, ob ich schon immer kreativ war, aber ich habe immer versucht, kreativ zu sein. Ich kann fast alles, aber eben nur fast. Ich sehe mich selbst als jemanden, der sich einfach immer bemüht. Manche Leute werden sagen, dass ich es „geschafft“ habe, aber ich sehe das nicht so.

 

GLAUBEN SIE, DASS SIE JEMALS DAS GEFÜHL HABEN WERDEN, DASS SIE ES GESCHAFFT HABEN?

Ich hoffe nicht. Ich glaube nicht, dass man mit seiner Arbeit jemals zufrieden sein sollte. Es ist wie beim Tätowieren: Ich habe 2009 mit dem Tätowieren angefangen, als ich in San Francisco lebte. Ich fing an, von Hand zu tätowieren, aber ehrlich gesagt hatte ich dabei immer das Gefühl: „Warum dauert das so lange?“ Meine erste Maschine habe ich um 2012 angeschafft, und damit habe ich einfach nach einem Barbesuch ein paar lustige Tattoos für meine Kumpels gestochen. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich wirklich nicht gut darin bin. Ich wusste, dass ich nur gut im Tätowieren werden konnte, wenn ich es so oft wie möglich übe. Einfach nur übe. Schließlich bin ich dann auch besser geworden. Aber ich werde nie zufrieden sein. Wenn die Leute zufrieden mit sich sind, fangen sie an, schlechtere Leistungen zu bringen. Es ist gut, etwas zu riskieren und nicht selbstzufrieden zu werden.

 

 

LASSEN SIE UNS ÜBER DIE KOLLABORATION SPRECHEN, AN DER SIE GEARBEITET HABEN. WAS WAR BEI DIESER ZUSAMMENARBEIT ANDERS ALS BEI ANDEREN PROJEKTEN, AN DENEN SIE MITGEWIRKT HABEN?

Wenn man es genau nimmt, war dies (Willy Wonka und die Schokoladenfabrik) mein absoluter Lieblingsfilm. Wenn ich wählen müsste, welchen letzten Film ich mir anschauen will, wäre es wahrscheinlich dieser. Manchmal werde ich gebeten, an ähnlichen Projekten mitzuarbeiten, aber ich muss sagen, dass ich nicht mit dem Herzen dabei bin, weil ich mich nicht für das Ausgangsmaterial interessiere. Aber das hier ist etwas, das für mich interessant ist. Ich liebe diesen Film einfach.

Und was den Prozess der Zusammenarbeit angeht, so war sie bei diesem Projekt extrem unkompliziert. Ich habe ein paar grobe Entwürfe gemacht, und das Produktteam kam mit einer sehr genauen Vorstellung davon zurück, wie die Bilder aussehen und wie sie gestaltet werden sollten. Stance geht viele Risiken mit vielen verschiedenen Kreativen ein. Ich möchte immer mit Designern zusammenarbeiten, die das Beste aus Künstlern herausholen wollen, und das ist bei diesem Projekt definitiv der Fall gewesen.

 

WAS MACHT DEN WILLY WONKA-FILM ZU IHREM LIEBLINGSFILM?

Der Film ist so skurril. Die Schokoladenfabrik betreten die Charaktere erst nach der Hälfte des Films ... Und trotzdem ist es ein so interessanter Handlungspunkt. Die Musik ist großartig, die Charaktere sind unvergesslich, die Kulissen sind wirklich wunderschön, alle sind sehr gut besetzt, und obendrein ist der Film irgendwie gruselig und psychedelisch. Er fällt in dieselbe Kategorie wie die ganzen anderen Dinge, die damals gerade aktuell waren: die frühen Motorrad-Gangs, Mad Magazine, National Lampoon, Pink Panther. Diese wunderschöne Psychedelia-Kultur der späten 60er und frühen 70er Jahre. Einige der besten Sachen stammen aus der Zeit zwischen 1968 und 1978. Der Film hat diesen Moment in der Geschichte wirklich gut dargestellt. Er repräsentiert ein so schönes Stück England, aber zugleich auch ein verrauchtes, schmutziges, postindustrielles England. Es ist alles trist und grau, und dann ist da diese schöne, bunte Fabrik. Meine Lieblingsszene ist der klaustrophobische Moment, in dem der Raum immer kleiner wird und sie schließlich die Fabrik mit dem riesigen Schokoladenwasserfall betreten. Ich meine, dieser ganze Moment gehört einfach zu den besten Szenen, die die Kinowelt jemals hervorgebracht hat.

 

WELCHE SÜSSIGKEIT AUS DER SCHOKOLADENFABRIK WÜRDEN SIE GERNE PROBIEREN?

Ich bin ein großer Schokoladenfan, also würde ich alle probieren wollen. Ich würde auf jeden Fall aus dem Schokoladenfluss trinken.

 

WIR KENNEN JETZT EINIGE IHRER LIEBLINGSMOMENTE AUS DEM FILM. WIE HABEN SIE DIESE IN DIE SOCKENDESIGNS EINFLIESSEN LASSEN?

Als wir mit dem Designprozess begannen, zeichnete ich eher traditionelle Cartoons, wie ich sie für Ausstellungen zu machen pflege, aber einige der Produktdesigner bei Stance kamen dann auf mich zu und meinten sowas wie: „Wir sollten bei dem Ganzen ein Stück weitergehen, die Schwarz-Weiß-Linienzeichnungen sein lassen und Charaktere entwickeln, die du noch nie zuvor gezeichnet hast. Ich fand das wirklich cool und aufregend, und als sie mir grünes Licht gaben, habe ich sofort losgelegt. Also, was die Farbe betrifft, die gibt es ja schon. Der Film hat wirklich diesen Technicolor-Look der frühen 70er Jahre. Alles war bereits vorhanden, so dass ich direkt Screenshots aus dem Film nehmen und daraus die Charaktere auf den Socken erarbeiten konnte. Die satten Brauntöne, das samtige Lila, die Cremetöne, das Orange, die knalligen Rosatöne. Die Farben sind so toll geworden.

 

WIE SIND SIE BEIM KREIEREN IHRER VERSION DER WILLY-WONKA-CHARAKTERE FÜR DIESE ZUSAMMENARBEIT VORGEGANGEN?

Ich wusste, dass ich zuerst Wonka kreieren musste, damit das Ganze überhaupt in Gang kommt. Erst musste er perfekt sein, und dann würden sich die anderen Charaktere automatisch ergeben. Sobald wir die Details rund um die Augen und die Nase ausgearbeitet hatten und genau sehen konnten, wie sich alles perfekt zusammenfügte, entstanden die anderen Charaktere wie von allein. Entscheidend war dabei, einen Wiedererkennungswert zu erhalten: Der bereits bestehende Rahmen der Charaktere hat die Suche nach ikonischen Momenten wirklich einfach gemacht. Wie Charlies Haare, oder der Candyman mit seiner typischen Frisur und seinem gestreiften Hemd. Mike Teavee und sein kleines Halstuch und seine weißen Stiefel, Veruca Salt ... sie ist so verdammt wütend. Es ging einfach darum, diese kleinen Details in Bezug auf die Charaktere auszumachen und dann damit zu spielen.

Wir beendeten das Interview damit, dass Jay einige der Socken anprobierte und uns durch das gesamte Studio führte, wo er uns einen Blick in sein Tattoo-Flashbook werfen ließ und uns die Kunstwerke an den Wänden zeigte. Anschließend kraulten wir Street Dog ein letztes Mal am Bauch, dann bedankten wir uns bei Jay für die Zusammenarbeit und das Gespräch und machten uns auf den Weg zurück nach Los Angeles.